Üben?! Warum?
Junge Flötistin Outdoor in der Sonne spielend, im Hintergrund unscharf Sträucher,von Nate C by unplash
Junge Flötistin Outdoor in der Sonne spielend, im Hintergrund unscharf Sträucher, Foto von Nata C by unplash

Üben? Warum geht es nicht „ohne“? Und warum kann Üben sogar gegen Stress helfen?

Ein Passant bleibt bei einem Straßenmusiker stehen und fragt: „Wie komme ich in die Philharmonie?“ „Üben, üben und nochmals üben!“

Wer kennt nicht diesen Witz…

Wiederholungen

Der Mensch ist ein Wiederholungstäter:

Schon als Baby und im Kleinkindalter lernen wir intuitiv z.B. die Muttersprache, indem wir die Laute der Menschen um uns herum nachahmen. Auch unsere motorischen Fähigkeiten eignen wir uns so an. Beobachte doch mal ein kleines Kind beim Laufen lernen: Es probiert immer wieder, fällt immer wieder hin und beschwert sich lautstark über den Misserfolg. Aber dann probiert es weiter, variiert und optimiert seine Bewegungen – bis es endlich nach unzähligen Anläufen tatsächlich die ersten Schritte erfolgreich meistert. Dann strahlt es über das ganze Gesicht!

Warum ist das so?

Bewegungen lernen

Wir erlernen neue Bewegungen und Bewegungen neuen Situationen anzupassen aufgrund der Plastizität unseres Nervensystems. Von unseren Nervenzellen werden die Muskeln aktiviert. Es werden Anfang und Ende sowie die Stärke der Muskelanspannung bestimmt.

Beim Lernen eines neuen Bewegungsablaufs, wie zum Beispiel auch beim Lernen ein Instrument zu spielen, muss die Arbeit des Agonisten (1) und des Antagonisten (2) so aufeinander abgestimmt werden, dass die gewünschte Bewegung ausgeführt werden kann.

Wird die Bewegung zum ersten Mal ausgeführt, werden meist beide Muskeln gleichzeitig aktiviert und kontrahieren sich. Das ist ziemlich unökonomisch und meist auch weit entfernt von einem geschmeidigen Bewegungsablauf. Es werden viele Motorischen Einheiten (3) für den Ablauf aktiviert, um die Ausführung der Bewegung zu gewährleisten.

Bei Wiederholungen der Bewegung werden weniger Motorische Einheiten aktiviert. Agonist und Antagonist lernen im Laufe des Lernprozesses sich abzustimmen: Der Agonist lernt nur so viel an Kontraktion aufzubringen, dass die Bewegung erfolgreich und mit möglichst wenig Aufwand durchgeführt werden kann. Und der Antagonist lernt wiederum seine Aktivität der verminderten Kontraktion des Agonisten anzupassen. Im fortlaufenden Lernprozess werden so die aktivierten Motorischen Einheiten immer weiter reduziert, bis ein Optimum erreicht ist, mit dem das Bewegungsziel sicher erreicht wird. Der Bewegungsablauf sieht jetzt nicht nur optisch geschmeidig aus, sondern fühlt sich leicht an.

Beim Lernen eines Instrumentes passieren aber noch viel mehr Dinge als das vermeintlich „simple“ Lernen eines Bewegungsablaufs.

Ein Beispiel

Ich lerne die Note „a“ kennen und den Ton „a“ auf der Querflöte zu spielen.

Zunächst sehe ich die Note. Ich registriere, dass die Note „a“ im zweiten Leerraum des Notensystems steht. Das visuelle Zentrum im Gehirn wird angesprochen. Ich höre den Namen und den Klang der Note. Jetzt wird das visuelle Erleben mit dem auditiven Zentrum verknüpft. Ich lerne, welche Finger auf den Klappen bei diesem Ton sind und spüre den Kontakt der Finger mit den Klappen des Instrumentes mit meinem Tastsinn. Ich lerne, wie es sich anfühlt die Flöte mit dieser Fingerkombination zu balancieren und spreche damit meinen Gleichgewichtssinn an. Und last not least muss ich mittels meines Atems den Ton noch zum Erklingen bringen. Hierfür muss ich lernen die dafür erforderliche Luftmenge in der richtigen Luftgeschwindigkeit durch den entsprechend geformten Lippenspalt passgenau zu befördern. Ziemlich viel zu koordinieren für einen einfachen Ton!

Das passiert im Gehirn beim Lernen eines Instrumentes

Wenn wir musizieren, erleben wir ein hochkomplexes und äußerst präzises Zusammenspiel zahlreicher Hirnregionen. Fast alle Großhirnbereiche sind dabei beteiligt. Spielen und Notenlesen erfordert die Aktivierung sowohl der auditiven wie auch der visuellen und sensomotorischen Großhirnregionen.

Die Planung und Kontrolle der Spielbewegungen ist im Stirnhirn angesiedelt. Die Scheitellappen berechnen die räumliche Koordination auf Tastatur oder Griffbrett. Aber ohne die Aktivität der tieferliegenden, also im Gehirninneren liegenden Basalganglien wären wir nicht im Stande einen einzigen Ton erklingen zu lassen. Die Basalganglien (4) sind die Mittler, die eine selbstbestimmte Willkürbewegung beginnen lassen. Sie haben die Funktion eines „Schalters“ inne. Sie lassen uns auch neue Regeln, wie beispielsweise neue Fingersätze, lernen. Natürlich immer im engen Zusammenspiel mit der Großhirnrinde, die wiederum für das bewusste Ansteuern der Finger regelt.

Im Laufe der Automatisierung wird dann das Belohnungssystem aktiviert. Wir haben dann eine hormonelle Ausschüttung, nämlich des Katecholamins Dopamin. Man nimmt an, dass komplexe motorische Zusammenhänge, wie einstudierte komplizierte Passagen, quasi in den Basalganglien „gespeichert“ werden, um sie im Bedarfsfall blitzschnell wieder abrufbar zu haben. Zur Ausführung der Bewegung werden dann wieder die sensomotorischen Zentren der Großhirnrinde benötigt. Die Basalganglien sorgen dann wiederum dafür, dass das motorische Steuerprogramm im richtigen Moment beendet werden kann.

Eine weitere wichtige Struktur des Gehirns beim Musizieren ist das Kleinhirn, das die zeitliche und räumliche Präzision von Bewegungen gewährleistet. Und dann werden die Bewegungen beim Musizieren emotional aufgeladen – denn sie drücken ja Emotionen wie Freude, Glück, oder Trauer und Schmerz aus. Diese emotionale Aufladung erfolgt aber nicht in der Großhirnrinde, sondern im limbischen System. Von hier geht die Rückmeldung an die Großhirnrinde und diese gibt die Impulse an die Muskulatur.

Dies ist der Grund, warum Üben gegen Stress hilft

Und damit haben wir den Bogen zur Stressreaktion geschlossen. Denn das motorische Lernen im Zusammenhang mit emotionaler Prägung findet genau in den gleichen Hirnregionen statt, in denen auch die Stressreaktion initiiert wird. Durch die erfolgreichen Wiederholungen beim Üben eines neuen Bewegungsablaufs, einer neuen Passage, eines neuen Stückes kommt es zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin. Dopamin ist wiederum ein wesentlicher Bestandteil der Feinkoordination bei der Stressreaktion des Körpers. Seine Wirkung ist so stark, dass es in der Notfallmedizin zur Behandlung beispielsweise bei Schockzuständen eingesetzt wird, die einen extremen Stresszustand für den Organismus darstellen.

Üben bringt uns also nicht nur auf unserem Instrument weiter, sondern hilft uns auch indirekt dazu mit Stress besser umzugehen. Es geht also nicht ohne Üben. Und das ist gut so!

Wie Konfuzius bereits sagte: „Sag es mir, und ich vergesse es. Zeig es mir, und ich werde mich erinnern. Lass es mich tun, und ich werde es können.“

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Üben!

Glossar

(1) Agonist: hergeleitet aus dem Griechischen αγω = tun, in Bewegung setzen. Das ist der Muskel, der die Bewegung ausführt, also kontrahiert.

(2) Antagonist: hergeleitet aus dem Griechischen αντι = entgegen. Das ist der Muskel, der die Gegenbewegung ausführt, sich also aufgrund der Kontraktion des Agonisten dehnen muss.

(3) Motorische Einheit: Gruppe motorischer Nervenzellen, bestehend aus den Motoneuronen des Rückenmarks, den von dort zum jeweiligen Muskel führenden Nervenleitungen und en im jeweiligen Muskel verankerten Motorischen Endplatten. Über die Motorischen Einheiten werden die Nervenimpulse an die Muskulatur weitergegeben. Je weniger Muskelfasern von einer Motorischen Einheit versorgt werden, desto feiner ist die Ausführung der Bewegung. (Feinmotorik: bis zu 5 Muskelfasern werden von einer Motor-Unit versorgt, Grobmotorik: etwa 1500 Muskelfasern werden von einer Motor-Unit gesteuert)

(4) Basalganglien: Als Basalganglien oder Nuclei basales werden mehrere Kerne bzw. Kerngebiete des Endhirns zusammengefasst, die unterhalb der Großhirnrinde liegen. Die Basalganglien sind Bestandteil des motorischen Systems und sowohl an der Stütz- und Haltemotorik als auch an der Willkürmotorik beteiligt.

Wenn du mehr über die Flöte, die Flötenmusik, Musikergesundheit erfahren oder einfach nur weiter mit mir in Kontakt bleiben möchtest, melde dich bei meinem Newsletter an!