Fokale Dystonie bei Musiker*innen
Schwarz-weiß Zeichnung des Portraits Robert Schumanns von Krishuber aus dem Jahre 1839. Er sitzt in einem Lehnstuhl ud schaut den Betrachter mit ernstem Gesichtsausdruck an. Gekleidet ist er in einen Mantel oder einer Jacke mit hohem Kragen und einem Bekleidungsstück, dass bis zum Kinn reicht.
Robert Schumann 1839

Fokale Dystonie – das Schreckgespenst aller Musiker*innen

Was hat Robert Schumann mit dem Krankheitsbild der Fokalen Dystonie zu tun?

Schumann ist wohl der berühmteste Fall einer Fokalen Dystonie bei Musikern.

Schumann litt in seiner pianistischen Ausbildung an einer Dysbalance der Stärke und Beweglichkeit seiner Finger. Gegenüber seinen anderen Fingern waren Mittel- und Zeigefingers der rechten Hand weniger stark und beweglich. Als sein Lehrer Friedrich Wieck, Schumanns späterer Schwiegervater, mit seiner Tochter Clara auf Tournee war, übte Robert Schumann mittels eines speziell konstruierten Apparats speziell diese Finger. Resultat dieser fehlgeleiteten Übungsweise war ein dauerhafter Verlust der Beweglichkeit der betroffenen Finger. Sie waren nicht mehr bewusst ansteuerbar. Schumann selbst schrieb in sein Tagebuch: „Der Dritte Finger ist vollkommen steif.“ Seine pianistische Laufbahn war dadurch beendet, bevor sie richtig begonnen hatte.

Schumann verlegte sich aufs Komponieren, auf musikjournalistischen Tätigkeiten und in der beruflichen Phase vor seinem Selbstmordversuch, natürlich auf alle Aufgaben, die mit seiner Tätigkeit als Städtischer Musikdirektor Düsselsdorfs einhergingen.

Bewegungsstörung

„Die Fokale Dystonie bei Musiker*innen ist eine aufgabenspezifische Bewegungsstörung, die sich in einem Verlust der Willkürmotorik bei stark übertrainierten Bewegungen äußert.“, so kann man auf der Webseite des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin Hannover lesen. Am häufigsten trifft diese Erkrankung Pianist*innen und Geiger*innen. Aber auch Bläser*innen können betroffen sein. Bei den Bläser*innen findet man oft Störungen in der Muskulatur, die den Ansatz bildet, bei Pianist*innen und Geiger*innen sind vor allem Störungen der Hand anzutreffen.

Tritt bei einem Musiker oder Musikerin Fokale Dystonie auf, so bedeutet das oft das Berufs-Aus. Wenn es gelingt, wieder im Beruf Fuß zu fassen, geht dem eine jahrelange Rehabilitation voraus.

1% aller professionellen Musiker*innen betroffen

Man geht davon aus, dass ca. 1% aller professionellen Musiker*innen von Fokaler Dystonie betroffen sind. Allein in der Ambulanz des Instituts für Musikerphysiologie und Musiker-Medizin Hannover waren 2005 über 400 Musiker*innen in Behandlung. Literatur zum Thema findet sich vor allem in Fachpublikationen. Angelika Stockmann hat zum ersten Mal in ihrem Buch „Üben hilft eben doch!“ für medizinische Laien eine längere Ausarbeitung zum Thema Fokale Dystonie geschrieben. Zur Rezension des Buches: https://www.schneppat-music.de/ueben-hilft-eben-doch/

Wie kommt es zur Fokalen Dystonie

Die Forschung hierzu ist noch längst nicht abgeschlossen. Die bisherigen Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass es zu Fehlfunktionen im Gehirn kommt. Musiker*innen mit einer Dystonie in der Hand haben bzw. konnten in bildgebenden Verfahren eine Überlappung der Finger-Repräsentationsareale im sensomotorischen Kortex nachgewiesen werden. Dazu passt der vielfach in der Behandlung von Fokaler Dystonie beobachteten Umstand, dass man die am eigenen Instrument nicht mehr durchführbaren Bewegungen in anderem Zusammenhang durchaus noch durchführbar sind. So kann u.U. eine Trillerbewegung des Vierten und Fünften Fingers in der linken Hand auf dem Griffbrett einer Geige für den betroffenen Musiker nicht mehr ausführbar sein, aber auf dem Klavier durchaus noch. Bei Forschungen am IMMM/Hannover konnte man z.B. Verbesserungen am Beschwerdebild bei betroffenen Pianist*innen nachweisen, wenn diese beim Spielen einen Handschuh trugen.

Was hilft den Betroffenen?

Üblicherweise wird Fokale Dystonie medikamentös mit Botulinumtoxin und Trihexyphenidyl behandelt. Außerdem werden Retrainingsmethoden eingesetzt.

Besonders bewährt hat sich bei diesen die Trainingsmethoden der Dispokinesis, da hier durch spezielle Übungen an das eigene sensomotorische Potenzial angeknüpft wird und durch spezielle Übungsabfolgen unter Anleitung ausgebildeter Dispokineter die ursprüngliche sensomotorische „Blaupause“ wieder erweckt wird. Salopp gesagt: die gestörten Programmabschnitte werden entfernt und durch ein Reset auf die individuelle Basisfunktion in der Festplatte Gehirn ersetzt.

Natürlich geht das nicht mal eben so. Das bedarf langer, meist jahrelanger intensive Arbeit ohne die Gewissheit, ob der Prozess reparabel ist.

Berufskrankheit

Rund 30% aller betroffenen Musiker*innen müssen ihren Beruf aufgrund ihrer Fokalen Dystonie aufgeben. Seit 2017 ist Fokale Dystonie als Berufskrankheit bei Musiker*innen anerkannt.

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